Beim Formgeber und Formnehmer Quirin Bäumler

Es ist ein sonniger Herbsttag und wir suchen auf dem weitläufigen Areal der Weddinger Uferhallen nach unserem Ziel. Eine steile Treppe (die uns ein wenig weiche Knie bereitet) müssen wir noch erklimmen, bevor uns Quirin Bäumler in seinem Wohn-Atelier empfängt. Dort wimmelt es von Gesichtern, Händen, großen und kleinen Skulpturen und Plastiken, denn Quirin ist Bildhauer; er zeichnet aber auch ganz viel. Nebst Papier und Stift arbeitet er am liebsten mit Gips, Ton und Epoxidharz, einer Art Kunststoff.

Normalerweise zeigt der Künstler seine Werke in Galerien in Berlin und ganz Deutschland, weshalb er etwas nervös ist, sie jetzt in seinem Atelier bzw. Wohnzimmer zu zeigen. Das beruhigt uns, denn auch wir sind heute etwas schüchtern. Nachdem wir das geklärt und alle etwas Mut gesammelt haben, sprudeln die Fragen aus uns heraus: Hast du Kinder? Warum machst du Kunst? Was ist dein Lieblingskunstwerk und welche Farbe magst du am liebsten?

Quirin erzählt uns von seinen drei – mittlerweile erwachsenen – Kindern und dass er schon als Schüler immer gezeichnet hat. Als Beweis zeigt er seine alten Biologiehefte, die voller Kritzeleien sind. Er konnte sich schon immer viel besser konzentrieren und zuhören, wenn er zeichnet oder was mit den Händen macht – das wollten die Lehrer*innen aber nicht einsehen. (Uns geht es ganz genauso, sowohl was die Konzentration als auch das Verständnis der Lehrkräfte angeht!) Seine Lieblingsskulptur ist „Johannes, der Täufer“ von Donatello, einem Bildhauer aus dem 15. Jahrhundert, und die Farbe Blau, die ihn häufig begleitet (sein Hemd ist blau und sein Auto auch), ist eigentlich gar nicht seine Lieblingsfarbe. Er ergänzt, dass Farbe dennoch in seinem Schaffen wichtig ist – gerade, weil er kaum welche einsetzt. Wenn er welche benutzt, ist es was ganz Besonderes und eine bewusste Entscheidung. Meist belässt er seine Plastiken in ihren natürlichen Farben: gräulich-weiß, rötlich-braun, erdfarben.

Und die zeigt er uns jetzt, um zu verraten, wie er arbeitet. Man könnte auch sagen, er stellt uns seine Familie vor, denn von den vielen Gesichtern sind einige Angehörige – sein verstorbener Vater und Onkel sind da, seine Mutter, sein Neffe als Baby (der ist heute über 30) und sogar ein Abdruck von Quirins eigenem Gesicht. Er zeigt uns die Hand seiner damals 10-jährigen Nichte und wir vergleichen sie mit unseren 9-jährigen Händen. Auf der Oberfläche sieht man jede Falte ganz genau, die Textur der Haut, einfach alles – wie eine Kopie. Aber wie geht das so detailgetreu? Der Künstler nimmt hierfür Abdrücke der Gesichter oder Körperteile mit Gips oder Alginat (das ist ein Material, das aus Algen gewonnen wird) und füllt die entstandene leere Form danach wieder mit einer nächsten Füllmasse, zum Beispiel Gips oder Ton. Man kann aber auch selbst zum Formgeber werden statt nur die Form zu nehmen: In einen großen Tonberg hat Quirin mal ein Loch gegraben (also Material weggenommen) und mit den Händen ganz ohne Vorlage oder Zeichnung zwei Fische modelliert. Danach hat er den Berg mit den „Fischtälern“ außen mit Kunststoff übergossen und als das fest wurde, den Ton innen raus geholt… deswegen sieht die Skulptur aus Plastik von innen ganz anders aus als von außen.

Quirin kennt sich mit dem Formgeben und -nehmen sehr gut aus und seit 2 Jahren leitet er die Werkstatt für Form, Gips, Kunststoff, 3D-Scanning des bbk (das steht für Bundesverband Bildender Künstler und Künstlerinnen). Hier unterstützt er andere Künstler*innen mit seinem (Material-)Wissen und kann auch an eigenen Projekten arbeiten. Was für ein Glück, dass die Werkstätten einen Katzensprung von den Uferhallen entfernt sind und Quirin uns mitnimmt.

Er führt uns durch die Gips-, Holz-, Metall- und Steinhalle und wir kommen aus dem Staunen nicht mehr raus: Mit einem Elektromeißel wird gerade ein Riesenklotz Marmor geformt, eine Kreissäge zersägt blitzschnell Holz und der Künstler Jay Gard (den wir schon von einer früheren Ephra unterwegs-Runde kennen) schweißt eine große Metallskulptur. Einer von uns erklärt über den Lärm hinweg begeistert, dass es sein großer Traum war, eines Tages mal in eine Werkstatt zu gehen. Und der wurde ihm soeben erfüllt!

In der Gipshalle hat Quirin für uns Ton vorbereitet, wo wir etwas reinmodellieren können, um es danach mit Gips auszugießen. Jetzt wissen wir zum Glück, dass alles was im Ton nach außen zeigt, beim Gipsabdruck später nach innen zeigt und Schrift spiegelverkehrt sein muss, damit man sie auf der Gipsscheibe lesen kann. Wir machen uns direkt an die Arbeit. Leider braucht der Gips zu lange zum Trocken, aber Quirin verspricht uns, unser Werk mit seinem blauen Auto in der Schule abzuliefern. Wir sind schon ganz gespannt, aber auch ohne das Ergebnis gesehen zu haben, wissen wir: Der Tag war ein voller Erfolg!

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