Gemeinsam (für)sorgen, reparieren, heilen

Ein Schulworkshop in der Ausstellung YOYI! Care, Repair, Heal

Kinder laufen durch die Ausstellung YOYI! Care, Repair, Heal

Gerade ist eine 5. Klasse der Kreuzberger Glaßbrenner-Grundschule zu einem Ephra-Workshop im Gropius Bau eingetroffen. Vorfreudig-gespannt warten die Kinder vor der gläsernen Eingangstür, bis der Sicherheitsmann in einer aufwändigen Prozedur das Schloss geöffnet hat. Und dann geht es auch schon direkt los!

Malu von Ephra erzählt ein bisschen über die Ausstellung: dass der Titel YOYI! in der Sprache der Tiwi – der indigenen Menschen im Norden Australiens – zur gemeinsamen Zeremonie der Feier und der Trauer aufruft und, dass in der Ausstellung Werke von Künstler*innen und Kollektiven aus der ganzen Welt zusammenkommen. (An dieser Stelle zeigt Malu eine Australien-zentrierte Weltkarte und tatsächlich kleben viele Punkte, die die Herkunft der Künstler*innen markieren, in Ozeanien, Afrika und Asien.) Weiter erklärt sie, dass alle Werke mit den Themen Fürsorge, Reparatur, Heilung (also Care, Repair, Heal) zu tun haben. Aber was bedeuten diese großen und teilweise etwas sperrigen Begriffe?

Kinder arbeiten an den Begriffen Fürsorge, Reparatur und Heilung
Kinder arbeiten an den Begriffen Fürsorge, Reparatur und Heilung

In drei Kleingruppen überlegen die Schüler*innen, was ihnen dazu einfällt. Was für Dinge müssen oder können repariert werden? Wer ist für Heilung zuständig? Was bedeutet (Für-)Sorge und was hat Freundschaft damit zu tun?

Im Austausch mit den anderen Gruppen wird schnell klar: In gewisser Weise hängen die Begriffe zusammen. Etwas zu reparieren bedeutet, es wieder gut oder ganz zu machen und auch bei der Heilung ist das Ziel, etwas Krankes zu kurieren, also gesund zu machen. Und dafür braucht es meist die Hilfe von anderen, die sich sorgen und kümmern. Das hat auch ganz viel mit Vertrauen zu tun! 

Ein Junge wird blind von einem anderen Jungen durch die Ausstellung geführt.

Passend dazu wird der Weg in die Ausstellung eine Vertrauensübung: Mit abwechselnd verbundenen Augen führen sich jeweils zwei Schüler*innen gegenseitig durch den großen Lichthof. Das ist schwieriger als gedacht – sowohl für die führende, sehende Person als auch die blinde, geführte. Da kommt eine Treppe, aber geht sie rauf oder runter? Wie viele Stufen sind es und wann ist der richtige Zeitpunkt zur Ankündigung eines Hindernisses?

Ein Junge wird blind von einem anderen Jungen durch die Ausstellung geführt.

Angekommen vor Eva Koťátkovás Installation »Confessions of a Piping System« beschreiben die Sehenden ihren Partner*innen, was sich vor ihnen befindet: ein Metallgestell aus dem Holzstäbe ragen, daran bedruckte Schilder, Tiere, kleine Klamotten, metallene Organe. Oder ist das eine Fliegenklatsche? Jetzt dürfen die anderen auch gucken, die Arbeit umrunden und inspizieren. „I speak for the sick who cannot afford to be sick” steht beispielsweise auf einem Schild. Was könnte das wohl bedeuten?
Eine Mitschülerin denkt an ihre Mutter, als diese eine wichtige Facharbeit zu schreiben hatte. Da durfte sie einfach nicht krank werden, sonst hätte sie die Arbeit nicht rechtzeitig fertigbekommen. Jemand anderes denkt an Menschen, die so wenig verdienen, dass sie sich nicht krankmelden können, weil sie sonst noch weniger hätten oder Personen, die keine Krankenversicherung haben. Da ist es gut, dass sich jemand für diese Personen einsetzt, ihnen eine Stimme gibt und sich um sie sorgt. Denn das möchte die Künstlerin untersuchen und darauf aufmerksam machen, wie Individuen und Gruppen durch Staaten und Institutionen zum Schweigen gebracht, diskriminiert oder kontrolliert werden. Alle sind sich einig, dass auch die Bedürfnisse und Wünsche von Kindern in unserer Gesellschaft viel zu wenig ernst genommen werden.

Danach geht es weiter – wieder mit verbundenen Augen durch den Lichthof –  zu der Arbeit von Maringka Burton und Betty Muffler. Wie soll man dieses große Gemälde nur beschreiben? Es fallen Formulierungen wie „lila Schnüre mit Kreisen“, „sehr lebhaft“, „viele Punkte“ und die Dicke der Pinselstriche wird an der Hand der blinden Person veranschaulicht. Dennoch sind alle Schüler*innen beim Entfernen der Masken überrascht, wie viel größer das Gemälde ist – und wie es tatsächlich aussieht. Mit seinen vielen Pinselstrichen in Pastellfarben erinnert es einige an Vincent van Goghs »Sternennacht«, andere sehen eine Sommerlandschaft, viel Bewegung oder eine Kettenreaktion.

Kinder stehen vor Betty Muffler und Maringka Burtons Kunstwerk in der Ausstellung YOYI! Care, Repair, Heal.
Kinder stehen vor Betty Muffler und Maringka Burtons Kunstwerk in der Ausstellung YOYI! Care, Repair, Heal.

Malu erzählt, dass die beiden miteinander verwandten Künstlerinnen Teil der Anangu Community in Südaustralien sind und hoch angesehene Heilerinnen, die sich um die körperliche und emotionale Gesundheit der Menschen kümmern. Das gemeinsam gemalte Bild heißt »Ngangkari Ngura (Healing Country)« und zeigt die Landschaft und die Wasserwege ihres Country als einen Ort der Heilung. Denn während der britischen Kolonialherrschaft wurde dieses Gebiet stark beschädigt, besonders in Folge von Atomwaffentests. Da kommen den Schüler*innen außerdem das Ozonloch über Australien und die sterbenden Korallenriffe vor der Küste in den Sinn, die Heilung benötigen.

Anne Duk Hee Jordans "Worlds Away" in der Ausstellung YOYI! Care, Repair, Heal

Das sind genau die richtigen Stichwörter und Malu führt die Gruppe zur letzten Station des Workshops: zu Anne Duk Hee Jordans Installation »Worlds Away«. Der Raum fühlt sich wirklich weit weg an, ist ganz dunkel und simuliert eine Tiefseeumgebung, in der kleinere und größere Lebewesen schwimmen. Hier in der Dunkelheit ist die Sinneswahrnehmung ganz anders: Man spürt den vibrierenden Boden und eine gewisse Schwere, dazu kommen komische Geräusche, die gedämpft wie unter Wasser klingen oder als wäre man im Herz eines großen Lebewesens. Einige der fluoreszierenden Lebewesen könnten beim genaueren Hinsehen auch alte Plastikflaschen oder -tüten sein und das große in der Mitte ein Tierkadaver. Oder doch ein Komet?

Laut Malu ist Anne Duk Hee Jordan selbst Taucherin und möchte mit ihrer Arbeit auf den Umgang mit anderen Lebensformen um uns herum aufmerksam machen. Es gibt nämlich so viel, das wir nicht über die Tiefsee wissen, obwohl wir Menschen die Unterwasserwelt täglich durch Chemikalien, Müll und Lärm verschmutzen und großen Schaden anrichten –eigentlich das Gegenteil von Fürsorge, Reparatur, Heilung.

Mit gemischten Gefühlen geht die Gruppe zurück zum Ausgang, diesmal allerdings mit offenen Augen vorbei an Wu Tsangs Videoarbeit »Of Whales«, die die Geschichte von Moby Dick aus Sicht des Wals erzählt.

Malu verteilt abschließend eine gezeichnete Landkarte – die »Landkarte des Befindens« – auf der die Schüler*innen vermerken können, mit welchen Gefühlen sie die gesehenen Kunstwerke in Verbindung bringen. Was alle Teilnehmer*innen mitnehmen: Wir alle sollten uns viel häufiger in andere hineinversetzen und andere Perspektiven einnehmen, dann klappt es auch viel besser mit dem gemeinsamen (Für)Sorgen, Reparieren und Heilen!

Die Landkarte des Befindens von Marie Parakenings und Ephra.

Fotos: Laura Fiorio, Ephra
Illustration Landkarte des Befindens”: Marie Parakenings

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